Die Jahrhundert-Stimme: Maria Callas – Ikone, Mythos, Medienphänomen (2024)

Keine andere Sängerin der Vergangenheit ist so präsent wie sie: Sie wird kultisch verehrt, ihr Leben und ihre Kunst polarisieren noch immer. Doch an ihren Leistungen auf der Bühne kommt niemand vorbei. Heute vor hundert Jahren wurde Maria Callas geboren.

Christian Wildhagen

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Yves Saint Laurent war ihr verfallen. Die Begeisterung machte den grossen Modeschöpfer fast zum Poeten. In einer Hommage an die «Göttliche» sprudelten die blumigen Vergleiche nur so aus ihm heraus: «Diva unter den Diven» hiess er sie, «Kaiserin, Königin, Göttin, Hexe, Magierin». Erhaben, rasend, explosiv sei sie gewesen, Nachtigall und Turteltaube in einem. Und weil ihm all das noch immer nicht hoch genug gegriffen schien, liess YSL kurzerhand alle anderen in ihrem Schatten stehen: «Wie ein grosser, einsamer Adler», so habe Maria Callas das 20.Jahrhundert durchquert, und dessen ausgebreitete Flügel würden nun für immer «all diejenigen verdecken, die sie überleben werden».

Mon dieu, was für prächtiger Kitsch! Aber es geht noch überschwänglicher: «Sie hat nicht Rollen gesungen, niemals, sondern auf der Rasierklinge gelebt», sie «war so gegenwärtig, dass alle, die ihr die Rollen geschrieben haben, von Verdi bis Bellini, von Rossini bis Cherubini, in ihr nicht nur die Erfüllung gesehen hätten, sondern weitaus mehr.» Die Autorin dieser Schwärmerei war Ingeborg Bachmann. Eine Versehrte auch sie, offenbar. Historisch ist manches schief an dem Zitat – keiner der genannten Komponisten hat die Gefeierte je gehört noch Rollen für sie geschrieben –, aber das kann man durchgehen lassen, als poetische Lizenz. Denn so war es immer mit dieser Sängerin: Maria Callas, deren Geburtstag sich heute zum hundertsten Mal jährt, verdreht allen den Kopf.

Mythos und Ikone

Keiner zweiten Künstlerin aus dem vergangenen Jahrhundert wurden so viele Bücher und Abhandlungen gewidmet. Neben Biografien und Würdigungen – die zitierten von Saint Laurent und Bachmann sind nur zwei der emphatischsten unter Tausenden – hat sie Romane inspiriert, Filme, Theaterstücke, sogar Happenings und Performances.

«Weder Caruso noch Karajan, weder Elvis noch Madonna können es in publizistischer Hinsicht mit ihr aufnehmen. Sie ist die absolute Primadonna des 20.Jahrhunderts», schreibt der Musik- und Theaterwissenschafter Arnold Jacobshagen in einer neuen Biografie – einer weiteren, muss man sagen, aber einer besonders lesenswerten unter den unzähligen Neuerscheinungen zu diesem Gedenkjahr. Das Buch trägt den sinnigen Untertitel «Kunst und Mythos», denn darum geht es von jeher bei Maria Callas.

Eine Sängerin, die künstlerisch wie privat das Abenteuer liebte; die regelmässig Grenzen aus- und des Öfteren überschritt. Die kaum mehr zu überbietende Massstäbe gesetzt hat für das, was wir als wahrhaftigen, unmittelbar zu Herzen gehenden Ausdruck empfinden. Und die deshalb bis heute unvermindert starke Emotionen weckt: Das ist der Stoff, aus dem tatsächlich ein Mythos entstand.

Ins Bild passt ihr Leben im Blitzlichtgewitter als einer der ersten wirklich global strahlenden Stars der Nachkriegszeit. Ebenso ihre beispiellose, aber kaum ein Jahrzehnt währende Glanzzeit als Königin der Opernwelt; schliesslich ihr nach wie vor nicht völlig geklärter Tod mit gerade 53 Jahren. All dies hat entsprechend mythisch getönte Vergleiche inspiriert: Ein zu früh verglühter Meteor sei sie gewesen, ein weiblicher Ikarus, der auf seinem Höhenflug der Sonne zu nahe kam.

Lässt man das in der Callas-Literatur lange vorherrschende Pathos der Idolatrie einmal beiseite, stellt sich indes eine andere Frage: Warum wirkt gerade diese Künstlerin so verblüffend präsent – mit ihrer Kunst wie mit ihrem von Legenden umrankten Leben? Immerhin liegt ihr letztes leibhaftiges Erscheinen auf einer Bühne bald ein halbes Jahrhundert zurück.

Die nach wie vor ungebrochene Präsenz ihrer Aufnahmen auf Tonträgern und Streaming-Portalen ist fraglos ein Grund. Ein anderer die oft ans Kultische grenzende Verehrung vieler Callas-Fans. Dass Musiker, gerade Sängerinnen und Sänger, in solch exzessivem, für Aussenstehende manchmal hypertroph anmutendem Ausmass verehrt werden, ist gleichwohl kein Einzelfall.

Maria Callas ist darüber hinaus anscheinend noch ein anderer, viel seltenerer Ruhm zuteilgeworden: Ihr wuchs der Status einer Ikone zu, einer Kultfigur des 20.Jahrhunderts. Man hat ihn sonst vor allem Filmstars zugebilligt, Marilyn Monroe etwa, drei Jahre jünger als Callas, oder der eine Generation älteren Marlene Dietrich. Mit ihnen und weiteren Stars verbindet Maria Callas, dass ihr Leben selbst, zumindest in den Augen der Öffentlichkeit, einem Filmepos glich (gelegentlich auch einem Melodram und einer Schmonzette).

Dabei schien ihr Lebensweg zugleich dem archetypischen Muster eines Drehbuchs zu folgen, das man nicht nur aus Hollywood, sondern wiederum aus Mythen und Märchen kennt. In diesem Fall ist es das Narrativ vom kometenhaften Aufstieg und dem entsprechend tiefen Absturz einer Identifikationsfigur, deren wahre Grösse erst von der Nachwelt ganz zu erfassen war.

Oper und Society

In Darstellungen von Callas’ Biografie begegnet man noch weiteren mythisch oder märchenhaft getönten Motiven. Etwa der Erzählung vom hässlichen Entlein, das sich aus eigener Kraft zum stolzen Schwan mausert. Gemeint ist damit nicht nur ihr beeindruckender Siegeszug, der die in New York geborene Tochter griechischer Auswanderer aus schwierigen familiären Verhältnissen auf die ersten Bühnen der Welt katapultierte. Vielmehr auch der damit einhergehende Drang zur schonungslosen Arbeit an sich selbst, zur Selbstoptimierung. Sie gipfelte 1953 in einer berüchtigten Radikaldiät, in deren Verlauf sie rund ein Drittel ihres Körpergewichts verloren haben soll.

Dass die früh hörbaren Abnutzungserscheinungen ihrer Stimme hierin eine Ursache haben, ist denkbar, aber medizinisch schwer zu belegen. So oder so zeigt es den Preis, den die Sängerin als Person der Öffentlichkeit zahlen zu müssen glaubte. Tatsächlich stammen nahezu alle Fotografien, die das Bild der Ikone Callas geprägt haben (und die darüber selbst zu Bild-Ikonen geworden sind), aus der Zeit nach der besagten Hungerkur.

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Aus der Perspektive unserer Tage könnte man Maria Callas auch noch in anderer Hinsicht als ein Opfer der medialen Aufmerksamkeit bezeichnen, die sie in einem bis dahin kaum gekannten Ausmass auf sich zog. Sie war diesem «Hype», wie man heute sagen würde, nicht gewachsen – und professionelle Medien- und PR-Strategen gab es noch nicht.

Das rächte sich im Umgang mit künstlerischen, vor allem aber mit den zahlreichen privaten Krisen, die ihre Karriere schliesslich immer stärker überschatteten. Manche Schatten sind auf dem Bild dieser Ikone geblieben, weil Callas nicht verhindern konnte, dass sie aus dem Olymp der Opernwelt in die Niederungen des Boulevards geriet und zur Zielscheibe der Klatschpresse wurde.

Den Tiefpunkt ihres in die Öffentlichkeit gezerrten Privatlebens stellte die gescheiterte Liaison mit dem Reeder Aristoteles Onassis dar, für den sie 1959 ihren knapp dreissig Jahre älteren Mann (und Manager) Giovanni Battista Meneghini verliess. Dass sie der schwerreiche Playboy Onassis indes schon nach kurzer Zeit gegen eine andere Ikone jener Zeit, die spätere Präsidentenwitwe Jackie Kennedy, austauschte, wurde zu einem der grossen Society-Dramen der 1960er Jahre stilisiert.

Reichlich Spielraum für Ausschmückungen boten dabei die überdeutlichen Parallelen zur Opernwelt: zu dem gern als «Zickenkrieg» apostrophierten Konkurrenzkampf zwischen Prima und Seconda Donna, der Tradition hat im italienischen Melodramma, Callas’ ureigener Domäne.

Dass die Grenzen zwischen Bühne und realem Leben verschwimmen, kommt vor in Theaterkreisen. Bei Maria Callas jedoch gehört der gedankliche Kurzschluss, dass eine Operndiva ihres Formats zwangsläufig ein ebenso divenhaftes Leben geführt haben müsse, zum Kern des Mythos. Das Motiv taucht dementsprechend in jeder biografischen Darstellung auf, auch in vielen literarischen Anverwandlungen.

Wer sich weniger der schillernden Ikone als der durch und durch ernsthaften Künstlerin Maria Callas nähern will, tut dagegen gut daran, Klatsch und Legenden so weit wie möglich auszublenden und sich auf ihr reiches diskografisches Erbe zu fokussieren.

Für immer im Ohr

Fast achtzig ihrer Rollenporträts sind in Recitals und auf Operngesamteinspielungen bewahrt. Wie bei dem Kult-Pianisten Glenn Gould werden diese phonografischen Schätze mit auffälliger Regelmässigkeit in immer neuen Aufbereitungen präsentiert – eine Form der Nachlasspflege im digitalen Zeitalter. Dahinter steht nicht allein ein Kommerzgedanke. Vielmehr ist es der Wunsch, die Grenzen der teilweise arg limitierten Aufzeichnungstechnik zu überwinden und das Phänomen dieser Jahrhundertstimme quasi in Reinkultur erlebbar zu machen.

Einem ähnlichen Impuls entsprangen schon 2018 erste Versuche, auch die charismatische Bühnenerscheinung der Callas, die nur in wenigen Videos und in dem «Medea»-Film von Pasolini zu erahnen ist, mithilfe einer Hologrammtechnik wiederzubeleben. Die KI könnte hier in neue Dimensionen vorstossen.

Ganz gleich, in welcher Präsentationsform man ihre Kunst erlebt: Maria Callas lässt niemanden kalt. Auch das ist typisch für Ikonen – es gibt ihnen gegenüber kein Halb und Halb. In der noch heute eigentümlich polarisierten Haltung vieler Musikfreunde zu ihrer Stimme spiegelt sich dies wider: Entweder sie berührt einen im Innersten, oder man lehnt sie rundweg ab.

Das mag daran liegen, dass sie tatsächlich einen Tropfen «Essig» in der Stimme hatte, wie manche Zeitgenossen ätzten. Der vermeintliche Makel besitzt jedoch dieselbe Wirkung wie der Schönheitsfleck im Barock: Perfekt abgerundete Stimmen sind so fad wie fehlerlose Gesichter; die Stimme der Callas hingegen, weder makellos noch rund, aber Emotionalität pur – sie bleibt, einmal gehört, für immer im Ohr.

Zudem hat sie ihren Bühnenfiguren, allen voran Puccinis Tosca, derart den Stempel aufgedrückt, mit ihren stimmlichen Mitteln wie mit ihrer ganzen Persönlichkeit, dass diese Interpretationen kaum zu kopieren sind. Noch weniger nachzuahmen ist die existenzielle Dringlichkeit, mit der sie jede ihrer Partien aufgeladen hat. Das meinte Ingeborg Bachmann mit der kühnen Metapher, sie habe ihre Rollen nicht gesungen, sondern gelebt, und zwar «auf der Rasierklinge». Nicht zuletzt wegen dieser Intensität wird man Maria Callas noch hören, wenn viele andere berühmte Stimmen lange verstummt sind.

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